Aus unerfindlichen Gründen bin ich pleite. Ich kann sie nicht nennen, denn dann würde ich die polenfeindliche Person, die meine Pleite wie auch schon die Pleite meines Vaters verursachte, ehren und zu einer Romanfigur machen. Wir haben es alle nicht leicht, ich könnte es schwerer haben, auf der anderen Seite habe ich scheinbar unendlich viele Ressourcen und am Ende treffen wir uns eh alle im selben Heim.
Ehren will ich die Person, die mir in diesen noch verbleibenden zehn Tagen des Monats Essen und Zahnpasta ermöglicht. Ich danke meinem Exfreund M., mit dem ich jahrelang schöne sportliche jüdische Kinder zu zeugen plante – wir sind beide keine Juden, aber aus Angst vor Flüchtlingen aus muslimisch geprägten Ländern, sicherlich allesamt gefährliche Antisemiten, gaben wir angesichts unserer Hakennasen und unserer schwarzen Locken zuweilen an, wir seien Franzosen und nicht etwa, was der Wahrheit entspricht, Nachkommen von Polen, ein Land, das bekannterweise bis zu den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts voller Juden war – also, der aufgrund traumatischer Umstände verhinderte Vater meiner schönen Kinder schickte mir unbürokratisch Penunze in die Hansestadt.
So bin ich motiviert, die Geschichte von meiner Reise nach NRW und Berlin zu erzählen. Durch die Nutzung von Autos konnte ich wie geplant in den Westen reisen und musste den berühmten Autor, mit dem ich mich auf der lit.cologne treffen wollte, nicht versetzen. Schon lange hatte ich diese Reise nach NRW und Berlin geplant und als sie dann endlich stattfinden sollte, hatte ich, es war der fünfte Tag des Monats, noch 150 Euro bis zum Dispo. Aus diesen Gründen musste die Reise eben ausschließlich mit dem Auto und nicht etwa mit dem abgedichteten Zug stattfinden, Termine waren abhängig von den Umständen, meine Wünsche und die von Dritten blieben zuweilen unberücksichtigt. In diesen Zeiten des Auto-Hasses eine interessante Erfahrung. BlaBlaCar ist die Mitfahrzentrale von heute, die App ist sympathisch-zurückhaltend gestaltet und erfüllte für diese Reise ihren Zweck, als wäre sie die DB App. Kurzfristig finden sich für die Hauptstrecken günstige Fahrten und man lernt immer wieder wen kennen.
Köln
Die Fahrt von Hamburg nach Köln kostet mit BlaBlaCar etwa 25 Euro. In dem Buch “Die unendliche Geschichte” gibt es das Kapitel mit dem Tausend-Türen-Tempel, in dem sich der Protagonist erst orientieren muss, bevor er versteht, dass er sich bei seinen Entscheidungen von seinen Wünschen und Erfahrungen leiten lassen muss, um aus dem Labyrinth herauszufinden.
Unter den gleichen 25-Euro-Fahrten entschied ich mich daher für die mit einem, der angab, dass er was mit Sport zu tun hat. Schon am Abfahrtsort, der Anschlusstelle Hamburg-Neuland, fing ich fast an zu weinen, als mir klar wurde, dass es nun nach Köln geht, ins Mekka, zur Sporthochschule. Mein Herz war so weich, ich legte meinen Rucksack in den langsam einsetzenden Schneefall an die Ampel und wartete auf den Fahrer, neugierig, ob und was er denn mit der Sporthochschule zu tun haben möge. Es zeigte sich, dass er Bundestrainer für die paralympische Leichtathletik ist, sehr interessant, sehr gutes Gespräch, sehr sportliche und sichere Fahrweise mit einem gechipten Auto.
Über die Berge ins kölsche Tal, ließ er uns tatsächlich an der heiligen Haltestelle nahe des Müngersdorfer Stadions raus, hinter den Bäumen die schönen Gebäude und Wege der sportwissenschaftlichen Institute, von denen ich ganz hinten versteckt, wie in einem Waldwinkel, die Judohalle wusste. Doch sie würde ich nicht mehr besuchen und auch niemand mehr auflauern, ich ging weiter, da ist nichts mehr.
Mit der Straßenbahn fuhr ich, da wir viel zu früh waren, in meine Unterkunft nach Köln-Riehl zu einem Mathematiker, der an genau jenem Tage Geburtstag hatte (Zahlenmagie!) und anlässlich dessen zum ersten Mal seit 20 Jahren seine Wohnung reinigte, danach zur lit.cologne, wo wir subito in den Rotweinkonsum einstiegen.
Der berühmte Autor bringt gerade sein zweites Buch raus, einen Roman über einen Tag im Schwimmbad, und berichtete von seinem dritten, das sich um die Bombardierungen der deutschen Städte im Zweiten Weltkrieg drehen sollte. “Es ist erstaunlich, da gibt es praktisch nichts”, tatsächlich verwunderlich angesichts der Bomber-Harris-Begeisterung der deutschen Junglinken und des Geklages der “Kriegskinder”, die von den Bombardierungen doch so traumatisiert sind, was sich seit Jahren in vielen Büchern von Sabine Bode nachlesen lässt. Der eigentliche Gegenstand des Abends: Israel.
Carolin Ehmcke und Meron Mendel näherten sich Mendels neuem Buch, ganz interessant und für mich erhellend, vor allem spielte Mendels Biografie als israelischer Jude eine Rolle, wie er im Kibbuz aufwuchs, wie er zum ersten Male Palästinenser sah, wie er sich mehr und mehr für das Dazwischen in der Debatte einsetzte und auch, wie schockierend-verschämt ihm in Deutschland begegnet wurde. Als Fazit des Abends bleibt stehen, dass man Israel auch als Deutscher kritisieren darf, ja, das sogar muss, wenn man sich die aktuellen politischen Entwicklungen ansieht. “Wenn ein Freund zum Arschloch wird, dann hilft es ihm, wenn man ihm das auch sagt”. Erfrischend.
Danach tranken wir weiter Rotwein und der Autor erzählte, er würde am nächsten Tag nach London fliegen, um Roger Waters zu treffen, dessen Konzerte zurzeit wegen Antisemitismusvorwürfen auf der Kippe stehen. Er wüsste überhaupt nicht, was er ihn fragen solle. Mein Vorschlag war, er solle ihn dort abholen, wo er sei und mit einer Frage danach einsteigen, was er von Wikileaks halte. Das hat er dann nicht gemacht, es ist trotzdem ein gutes Interview draus geworden, weil er sich den Geheimagenten des Nahostfriedens, Meron Mendel, nach London mitgenommen hat.
Zurück in Riehl setzten der Mathematiker und ich uns hin und hörten in Erinnerung an die Schönheit von Pink Floyd Echos aus der Live in Pompeji-Aufnahme, switchten dann aber auf Tool um, was für mich immer ein Genuss und eine echte Belastung ist, da der gedankenterroristischste Mensch meines Lebens, ein scheinbar ostjüdischer Rechtsanwalt, ebenfalls Tool hört und ich bis heute nicht weiß, warum. Da er seit 2011 nicht mit mir spricht, kann ich es auch nicht mehr herausfinden und irre höchstens von Zeit zu Zeit ziellos durch die Tool-Fäden in obskuren Internetforen, wo düstere Gestalten Tool als “Stuhl” verunglimpfen und gleichzeitig Argumente posten, warum die Musik oder der Sänger zu verehren sei. Ich pflegte diese Debatten gerne mit “Tool ist schwool” zu bereichern, in den letzten Jahren dürfte das allerdings nicht mehr vorgekommen sein.
Den folgenden Tag verbrachte ich eingekerkert in der chaotischen Mathematiker-Wohnung, Mathematiker-typisch mit durchsichtigen Plastikkisten eingerichtet. Er zeigte mir das Aquarium seines Patensohns, in dem sich Garnelen befinden und dozierte, dass ein gesundes Aquarium keine Belüftung benötige, da diese allein von den Pflanzen realisiert würde. Kreislaufwirtschaft at her best.
Da ich in der Wohnung eingekerkert war, konnte ich mich nicht sportpolitisch mit Kölner Grünen-Promis treffen, ich muss geheim halten, um wen es sich handelt, wobei ich es jetzt schon verraten habe.
Bonn
In Deutschland werden wieder Menschen abgeholt! Abgeholt wurde ich von meinem pseudojüdischen Exfreund, der eine Wohnung in Bonn besitzt und mir diese für genau eine Nacht zur Verfügung stellen konnte. Als armer Mensch kann ich meine Termine nicht selbst koordinieren, sondern muss auf die Gnade meiner reichen Mitmenschen hoffen. Jenes und alles weitere über Bonn und die weiteren Stationen Duisburg und Berlin wird in den nächsten Artikeln erzählt werden.